Das Kunstwerk
Antje Scharfe / 1988, Beton, Steinzeug, Klinker (Metall & Glas an der Kugel)
Fliegender Teppich
Antje Scharfe
„"Keramiker wurden namentlich aufgefordert etwas zur Prüfung in Berlin (VBK) vorzuzeigen und diese Auswahl nach Italien zu schicken. Alle Exponate sind durchgefallen, außer meins... “
Als eine von drei „Platzgestaltungen“ in der Großen Scharrnstraße zeichnet sich die Arbeit der Keramikerin Antje Scharfe durch das nahezu postmodern anmutende, geometrisch gestaltete Zusammenspiel von vier rund um eine große Platane angeordneten Sitzelementen aus. Sie soll die Einbuchtung zwischen den Häusern zum Ort des Verweilens machen.
Die Künstlerin überzog Boden, Sitzelemente und Hauswand mit einem „Teppich“ aus selbst hergestellten Fliesen aus Steingut und Klinker. Musterkonstellationen und Formen verdichten sich und erzeugen eine Spannung zwischen Asymmetrie und Symmetrie, einzig durchbrochen von der collage-skizzenhaft verzierten Kugel. Die Kontraste von Schachbrett, Streifen und Zacken büßten ihre Wirkung allerdings im Laufe der Jahre ein.
Das als „Fliegender Teppich“ bezeichnete Werk hat im Gegensatz zu dem gegenüberliegenden Bild Boulevardpassanten überhaupt keine politischen Konnotationen. Seine äußerst frei komponierte Gestalt beinhaltet allerdings Merkmale, die einen mediterranen Einfluss verraten.
Der Kontext
Antje Scharfe wird als Mitglied des Verbands Bildender Künstler der DDR im Bezirk Frankfurt (Oder) zum Projekt Große Scharrnstraße eingeladen – und nimmt an. Die in Halle (Saale) studierte Keramikerin lebt in Zepernick nördlich von Berlin und fühlt sich der Hauptstadt eigentlich näher. Mit ihrem Entwurf des „fliegenden Teppichs“ nimmt sie auf Frankfurts Vergangenheit als Markstadt und Handelszentrum Bezug. Diese figürliche Idee erahnt man nicht unbedingt auf den ersten Blick – aus der Vogelperspektive jedoch oder in Entwürfen der Künstlerin kann man den Teppich als solchen gut erkennen.
In dem Entwurf verarbeitet Antje Scharfe eindrucksvolle Impressionen von ihrer ersten Italienreise 1986, die sich für ihr ganzes künstlerisches Schaffen als sehr wichtig erweisen durfte. In einem strengen Auswahlverfahren wurde sie als einzige Künstlerin aus der DDR für die renommierte internationale Keramikausstellung in Faenza, "INTERNAZIONALE DELLA CERAMICA", (IT) ausgewählt. Über das Verfahren und die Reise erzählt sie:
"Keramiker wurden namentlich aufgefordert etwas zur Prüfung in Berlin (VBK) vorzuzeigen und diese Auswahl nach Italien zu schicken. Alle Exponate sind durchgefallen, außer meins. Ich dachte damals – das ist das erste und zugleich letzte Mal, dass ich in den Westen komme. Dann war ich in Rom, Florenz, Venedig; Faenza habe ich ausgelassen. Die Reise war sehr außergewöhnlich und beeindruckend, unter anderem die Fußböden. Und die haben daraufhin eine Rolle bei der Gestaltung des Platzes in der Scharrnstraße gespielt."
Die aus Marmor bestehenden, mosaikartigen Fußbodenmuster der mediterranen Kathedralen, die an Op Art erinnern, haben Scharfe begeistert. „Dieses Stück Italien in Frankfurt (Oder)“ belegt eine nachhaltige persönliche und künstlerische Prägung der Reise. Das damals im Laufe des Entwurfsprozess ausgereizte Spiel mit geometrischen Formen und Mustern „nützt mir jetzt noch“, so die Künstlerin. In der Tat, bei der Betrachtung ihrer späteren bzw. aktuellen Arbeiten fallen kontrastreiche schwarz-weiße und spielerisch kombinierte Muster ins Auge. Sogenannte assoziative Sammelsurien kennzeichnen Antje Scharfes Gesamtwerk, was beim Fliegenden Teppich deutlich anklingt.
Nicht nur der ausgefeilte Entwurf macht die Komplexität des Werkes aus. Die Herstellung der Fliesen in aufwändiger Handarbeit gehört ebenso zum umfangreichen, einjährigen Schaffensprozess. Antje Scharfe verbrachte dazu einige Wochen in einem Spezialbetrieb in Bad Liebenwerda, wo sie mit verschiedenen Handwerkern an der Brennmethode der Fliesen gearbeitet hat.
Insgesamt erinnert die Künstlerin das Projekt als positiv; "Die Zusammenarbeit mit der Stadt, den Handwerkern und den Anwohnern funktionierte „wunderbar“. Allerdings…(kam) die Wende dazwischen. Die kleinen Läden gingen schnell in Konkurs oder zogen in den Oderturm. Ein echtes Übel für die innerstädtische Entwicklung und für die Scharrnstraße sehr bedauerlich. Ursprünglich sollte es eine Flaniermeile sein - und dann ging da plötzlich kaum noch einer lang..."
Antje Scharfe setzte ihre Karriere auch im wiedervereinten Deutschland fort. Sie wurde in den 1990er Jahren Professorin für Plastik und Keramik an der Kunsthochschule Burg Giebichenstein in Halle (Saale). Ihre Arbeiten werden mittlerweile weltweit ausgestellt.
Gleichwohl ereilt nicht wenige der früheren, baugebundenen Werke ein trauriges Schicksal; mangelhafte Pflege oder sogar deren Beseitigung. Beides ein Ausdruck der Geringschätzung und ein qualitativer Verlust für den öffentlichen Raum.