Die Kunstwerke
1988 / Erika Stürmer-Alex
Maske
Lauscher
Waldschrat
Erika Stürmer-Alex
Gleich mit drei Arbeiten ist Erika Stürmer-Alex (*1938) in der Großen Scharrnstraße vertreten – geplant waren noch mehr.
Die Künstlerin ist bekannt für ihre farbenfrohen Plastiken. Ihre frechen Fabelwesen verschönern das Stadtbild Frankfurts bis heute. 1988 wurde die gebürtige Wriezenerin für die Gestaltung der Großen Scharrnstraße zur Fußgängerzone dazu geholt: „…weil niemand sonst farbige Plastik gemacht hat. Die Planer wollten meine Kunststoffplastiken zur Auflockerung der etwas tristen Neubau-Landschaft —“, wie Stürmer-Alex im Interview verrät.
Zuvor hatte sie bereits Plastiken für den öffentlichen Raum hergestellt. Doch für die Große Scharrnstraße arbeitete sie die Figuren erstmals direkt in die Architektur ein. Das war eine Herausforderung, denn die Objekte sollten sich bei der finalen Montage perfekt an die vorgesehenen Plätze anschmiegen. Damit das auf der Baustelle tatsächlich klappt, hat die Künstlerin bereits im Atelier mit nachgebauten Architekturteilen gearbeitet.
Im laufenden Prozess konnten sich allerdings einzelne Standorte doch ändern. So fand der „Lauscher“ zu seiner finalen Bedeutung: Zuerst war er als Werbetier am Eingang der Kneipe gedacht, sodass er die Menschen anlocken und hineinbitten sollte.
Durch die Standortverlegung ins Verborgene unter den Lauben wurde die seltsame Figur schließlich zum „Lauscher“, der bis heute die Säule hochklettert. Mit dem auffällig großen Ohr verlieh Stürmer-Alex dem Tier eine zeitgebundene, DDR-spezifische Konnotation. Nicht zu übersehen ist der Verweis auf die Staatsicherheit, welche an jedem noch so alltäglichen Gespräch ihr ungebetenes Interesse zeigte.
Lebenslust. Unbedingt!
Direkt gegenüber auf der anderen Straßenseite befindet sich die „Maske“, die die Künstlerin ebenfalls auf ihre architektonische Umgebung abstimmte. Hier sollte eine Pergola ranken. „Und darauf habe ich mich direkt bezogen und bewußt etwas maskenhaft Afrikanisches gemacht, weil es finster durch das Grünzeug gucken sollte … Nicht so nackt wie jetzt. Das sieht komisch aus. So war's gar nicht gedacht“.
Während der „Lauscher“ inhaltlich definiert wurde, waren die anderen Plastiken in der Scharrnstraße von Stürmer-Alex zur Dekoration gedacht. Die bunten „Bonbons“ auf der Architektur sollten einfach nur Freude bereiten. Erika Stürmer-Alex war und ist es wichtig, dass es zwischen ihren Plastiken und Menschen einen Bezug gibt. „Denn sonst, warum sollte man sonst welche machen?“ Ihr Anspruch, Kunst als Dialog zu machen, geht mit ihrer Lebensphilosophie einher. Die Entfaltung von Lebensfreude ist der Künstlerin ungemein wichtig: „Ja, für mich gehört eben Farbe dazu, sie unterstützt Lebenslust. Unbedingt!“
Deshalb will Stürmer-Alex farbige Plastiken machen. Um eine inhaltliche, aber auch formale Balance zwischen den übergeordneten kulturpolitischen und ihren eigenen Prinzipien zu finden, erfindet Stürmer-Alex Fabelwesen als Symbolfiguren. Denn „ganz abstrakte Figuren wollten die Auftraggeber nicht haben und realistische menschliche Figuren funktionieren nicht als farbige Plastik“. Also musste die Künstlerin einen anderen Weg finden und der führte über die Volkskunst und die Collageplastik von Malern der europäischen Moderne (Miró, Picasso usw.) hin zu ihrer eigenen Sprache der fantasievollen Formen und klaren Farben. Häufig wird behauptet, Stürmer-Alex sei durch Niki de Saint Phalle beeinflusst worden. „Das stimmt“, sagt die Künstlerin, „aber mehr als Ermutigung zur großen Form. Die Plastik unter der Farbe wollte ich straffer und spannungsvoller machen.“
Die formale und materialtechnische Ausführung von großen Farbplastiken war außerdem von technischen Hürden geprägt. Schon während ihres Malereistudiums an der Kunsthochschule Weißensee (1958-1963) träumte Erika Stürmer-Alex von großen und spannungsvollen Farbplastiken für den öffentlichen Raum. Um ihren bildhauerischen Anspruch mit ihrem Bedürfnis nach Farbe zu versöhnen, experimentierte sie mit vielen verschiedenen Materialien. Bei der Mitarbeit an der Innenausstattung des Oderturms entdeckte sie Styropor und Schaumstoffe. Von entscheidender Bedeutung erwiesen sich jedoch Kontakte zu den Bootsbauern in Grünheide: Von dort konnte sie die Materialien bekommen.
Die hier beschriebenen Plastiken wurden aus Styroporblöcken geschnitzt, geschliffen, mit fünf Schichten Kunststoffputz gestrichen, dann mit fünf Schichten Polyester-Glasfaser-Laminat beschichtet (mit jeweiligen Schleifen zwischen den Schichten). Zum Ende erfolgte die Bemalung mit Bootslack-Farben.
An der Großen Scharrnstraße waren noch zwei weitere Plastiken von Stürmer-Alex geplant, die jedoch den Änderungen im Bau weichen mussten. Ein rot-gelbes Tier, das von einer Brüstung herunter auf die vorbeigehenden Menschen schauen sollte, ist 1997 auf dem Werner-Forßmann-Krankenhaus in Eberswalde untergekommen. Der provokante, knallrote „Pogeist“ schmückte einen Durchgang, bis dieser zugemauert wurde. Nach der Sanierung soll diese Scherzplastik wieder einen gehörigen Platz in der Scharrnstraße finden.
Mehr über Erika Stürmer-Alex‘ Leben und Wirken: „Im Stillen Laut I A Quiet Resistance“, ein Dokumentarfilm von Therese Koppe (2019) (mit Verlinkung zum Verleih: http://www.salzgeber.de/imstillenlaut)